Erstveröffentlichung am 08.12.2021 auf RT DE
Während sich die mediale Aufmerksamkeit auf die Personalien der neuen Bundesregierung konzentriert, sind aus Kreisen der Friedensbewegung, aber auch von Diplomaten und Generälen bereits außenpolitische Appelle zu vernehmen. Sie fordern, auf einen Entspannungskurs umzustellen und Freundschaft mit Russland und China zu suchen.
Gerade erst ist die neue Regierung Scholz im Amt, da wird sie schon mit konkreten Forderungen aus der deutschen Friedens- und Antikriegsbewegung konfrontiert. Eine Kampagne, die ebenfalls heute vom Deutschen Freidenker-Verband gestartet wurde und mitunterzeichnet werden kann, fordert von Berlin nicht nur eine neue, friedliche außenpolitische Orientierung, sondern auch den Austritt Deutschlands aus der NATO – und den Abzug der NATO aus Deutschland.
Absage an Konfrontation mit Russland und China
Die Friedensinitiative kommt in einer Zeit der beständig zunehmenden Konfrontation gegenüber Moskau und Peking. Sie wird von mehr als 80 namhaften Erstunterzeichnern sowie von mehreren Organisationen der Friedensbewegung unterstützt, so etwa von dem Friedensforscher Dr. Daniele Ganser, dem früheren Bundestagsabgeordneten Dr. Diether Dehm, dem Journalisten Dr. Arnold Schölzel, dem Rechtsanwalt Hans Bauer, der Pastorin a.D. Renate Schönfeld und dem DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele.
Wie vom Grundgesetz vorgesehen, legte der neue Bundeskanzler Scholz heute nach seiner Wahl im Bundestag den Amtseid ab.
Wie es in der Pressemitteilung zur Friedensinitiative des Freidenker-Verbandes heißt, fragten sich jedoch viele Deutsche:
„Werden die Damen und Herren in ihren neuen Ämtern das Friedensgebot des Grundgesetzes und der Charta der Vereinten Nationen einhalten? Werden sie den Schaden abwenden, der dem deutschen Volk droht, wenn Deutschland weiter Mitglied im NATO-Kriegspakt bleibt? Werden sie Gerechtigkeit üben gegen die friedliebende Mehrheit der Deutschen, die ein gutes Verhältnis zu Russland und China wollen? Das außenpolitische Programm der Ampel-Koalition bestätigt schlimmste Befürchtungen. Es befürwortet eine weitere, verschärfte Beteiligung Deutschlands an der aggressiven Einkreisung Russlands und Chinas. Es missachtet die historische Lehre, dass Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu haben ist.“
Analyse und friedenspolitische Alternativen
Der Aufruf setzt sich in sechs Abschnitten hauptsächlich mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen auseinander. Er durchleuchtet die Machtverhältnisse in der NATO und EU, hinterfragt Formeln wie die von der westlichen „Wertegemeinschaft“ oder der „regelbasierten internationalen Ordnung“.
Die Initiative kritisiert jedoch nicht nur das westliche Selbstbild, sondern sucht einen unverstellten Blick auf sich herausbildende neue Strukturen wie die „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SOZ) oder die chinesische Initiative für eine „Neue Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“, BRI). Dagegen seien die NATO und die EU „Instrumente der gewaltsamen, hegemonialen staatlichen Absicherung der ‚freien‘ Märkte im Interesse des global operierenden, parasitären Finanzkapitals“. In dessen Interesse liege die Einbindung Deutschlands in die vermeintliche „Wertegemeinschaft“.
Die Forderungen münden darin, den Truppenstationierungsvertrag zu kündigen, aus der NATO auszutreten und eine umfassende und gute Zusammenarbeit mit Russland und China anzustreben.
Wie die „Freidenker“ in ihrer Presseerklärung schreiben, seien „friedliche Alternativen … dringend erforderlich. Die Friedensbewegung ist vor ernste Herausforderungen gestellt.“
Auch Mainstream sieht Kriegsgefahr
Bemerkenswert erscheint, dass diese Initiative aus der Friedensbewegung nicht isoliert dasteht. Gerade in den letzten Tagen sind aus dem bürgerlichen politischen und medialen Mainstream ganz ähnliche Forderungen laut geworden.
So riefen ehemalige Diplomaten und Generäle zu einem „Neuanfang im Verhältnis zu Russland“ auf. Diese aller linken Neigungen unverdächtigen ehemaligen Spitzenbeamten und -militärs schreiben etwa in ihrem Aufruf:
„Mit allergrößter Sorge beobachten wir die sich abermals verstärkende Eskalation im Verhältnis zu Russland. Wir drohen in eine Lage zu geraten, in der ein Krieg in den Bereich des Möglichen rückt. Von dieser Lage kann niemand profitieren, und dies liegt weder in unserem noch im russischen Interesse. Es gilt deshalb jetzt alles zu tun, um die Eskalationsspirale zu durchbrechen.“
Auch der Politikwissenschaftler, Experte für internationale Beziehungen und Professor an der Universität Halle-Wittenberg, Johannes Varwick, sprach sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gegen einen „Kollisionskurs“ gegenüber Russland aus: „Wir müssen Russland einen Platz in der europäischen Sicherheitsarchitektur einräumen.“ Er warb dafür, die russische Perspektive zu berücksichtigen und den Konflikt mit Moskau nicht weiter eskalieren zu lassen.
Ähnlich kritisch zur außenpolitischen Linie der neuen Bundesregierung äußerte sich der konservative Politologe Christian Hacke: „Wir haben genügend Spannungspunkte.“ Die Zeichen stünden auf eine
„stark moralisierende Politik, die im Einklang steht mit den USA. Das wird eine amerikanisch-deutsche Achse, stark anti-russisch, anti-chinesisch geprägt. Und das sehe ich mit Sorge, offengestanden.“
Mit Blick auf die amerikanisch-chinesischen Auseinandersetzungen würden laut einer Untersuchung der Körber-Stiftung 80 Prozent der Deutschen Neutralität wünschen, so Hacke. Es sei „Klugheit gefragt und nicht Selbstgerechtigkeit, sondern auch die Verfolgung von Interessen – und nationaler Interessen“. Letzteres könnte die neue Regierung – offenbar ein Seitenhieb auf die Regierung Merkel – „in der Kontinuität“ vernachlässigen. Der Begriff „Nation“ sei in Deutschland negativ besetzt.
Festzuhalten bleibt: Friedensbewegungen und Freidenker erhalten für ihre Analysen und Forderungen immerhin teilweise Bestätigung von bürgerlicher Seite. Die „Hinwendung der BRD zur multipolaren Weltordnung“ wird auch von gewissen Liberal-Konservativen unterstützt. Die Alternative zu Entspannung und guten Beziehungen mit Moskau und Peking wäre gefährlich: nämlich die Konfrontationspolitik fortzusetzen.
Link zur Erstveröffentlichung: https://de.rt.com/international/128109-punktlich-zum-antritt-neuen-bundesregierung/