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Breitseiten gegen die Friedensbewegung (Fortsetzung)

Friedensbewegung – zwischen Sektierern und Geschichtsrevisionisten Von Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes (29. 12. 2016) Ob bei zentralen Demonstrationen der Friedensbewegung wie am 8. Oktober 2016 in Berlin, ob bei Kampagnen wie „Stopp Ramstein“ oder gar gegen TTIP – nichts geht mehr ohne begleitende Diffamierungsversuche, die Veranstaltungen als „rechts“ oder „rechtslastig“ zu denunzieren. Als […]

Friedensbewegung – zwischen Sektierern und Geschichtsrevisionisten

Von Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes
(29. 12. 2016)

Ob bei zentralen Demonstrationen der Friedensbewegung wie am 8. Oktober 2016 in Berlin, ob bei Kampagnen wie „Stopp Ramstein“ oder gar gegen TTIP – nichts geht mehr ohne begleitende Diffamierungsversuche, die Veranstaltungen als „rechts“ oder „rechtslastig“ zu denunzieren. Als Kronzeugen der Anklage heuern die Qualitätsmedien der Herrschenden bevorzugt vermeintliche „Linke“ an, um den Verunsicherungsfaktor bei den „Angeklagten“ zu verstärken.

Die üblich gewordene Diffamierung

Bis vor nicht allzu langer Zeit wurde mit „rechts offen“ nur die Funktionalität von Handtuchringen, Prospekthüllen oder Toilettenpapierrollenhaltern beworben, inzwischen ist dem Wort (unter aktiver Beihilfe der Freifrau von Ditfurth) eine andere Funktion aufgeprägt worden: politische Akteure, Bewegungen oder Forderungen der Nähe zu „Nazis“ zu verdächtigen. Eng damit verbunden ist eine spezielle Rezeption des Wortes „Querfront“, das – weit entfernt von seinen historischen Ursprüngen – die Zusammenarbeit von „rechten und linken“ politischen Kräften suggerieren und anprangern soll. Dabei bedient man sich der totalitarismusdoktrinären Lesart, dass „Kommunisten rotlackierte Nazis“ seien bzw. „rot = braun“.

Da reale Neonazis (einschließlich ihrer Geheimdienst-Kader) inzwischen alle vormals traditionell linken Politikfelder für sich entdeckt haben und beackern, Kriege und Globalisierung kritisieren, „Weg mit Hartz IV“ oder „Solidarität mit Palästina“ skandieren, bleibt kaum ein Bereich übrig, in dem Nichtnazis noch agieren könnten, ohne sich „verdächtig“ zu machen. Zusammen mit der Denunziation von vermeintlich „links“ funktioniert die Nazi-Strategie wie ein Zangengriff, Linke sitzen in der Falle, und der Zweck der Übung, sie zum Verstummen zu bringen, hat funktioniert. Oder?

Die Diffamierungsstrategie setzt dabei auf Personalisierung, bekanntere Akteure sollen zu „Unpersonen“ gestempelt werden, wenn sie Positionen vertreten, die „Rechte“ (theoretisch) ebenfalls unterstützen könnten, oder denen eine „Kontaktschuld“ vorgeworfen wird. Konzentrierte man sich anfangs auf Ken Jebsen und Pedram Shahyar, kamen alsbald Reiner Braun, Klaus Hartmann, Anneliese Fikentscher und Rainer Rupp in den Fokus, um schließlich mit Albrecht Müller, Willy Wimmer und Oskar Lafontaine den Club der Verdächtigen zu komplettieren. Alle, die sich der Gesinnungspolizei nicht beugen, sollen gebrandmarkt werden, nicht mehr als Persönlichkeiten respektiert werden, um die Friedensbewegung orientierungs- und kopflos zu machen.

Die Diskussionen, die Aktionen und die Entwicklung der Friedensbewegung haben dazu geführt, dass die vormalige Unterscheidung in „alte“ und „neue“ Friedensbewegung überwunden und obsolet geworden ist. Trotzdem halten Einige verbissen an alten Feindbildern fest: wenn frühere Mahnwachen-Aktivisten heute neben anderen zu einer Demonstration aufrufen, dann soll das als Beweis gelten, das die Aktion irgendwie „rechts“ sein muss. Die VVN-Vorsitzende Kehrt gab bei einer Veranstaltung Ende Oktober 2016 in Frankfurt am Main zu Protokoll, dass die Mahnwachen z.B. in der Kampagne „Stopp Ramstein“ weiterlebten, deren Forderungen „nationalistische Kräfte einlade“; Belege: Fehlanzeige. Wer nach fast drei Jahren beim Stichwort „Mahnwachen“ immer noch mit dem sprichwörtlichen Pawlow’schen Reflex angeekelt reagiert, den überzeugt man nicht mit dem Hinweis, dass er sich in den Kulissen eines abgesetzten Stückes verlaufen habe, dass sie absteigen sollte, weil ihr Pferd tot ist.

Gegen „rechts“?

Die Diffamierungskampagnen dürften auf absehbare Zeit nicht eingestellt werden, da sie ein strategisches Ziel verfolgen: der Friedensbewegung von vornherein eine mögliche Massenbasis zu verwehren. Dazu wird der Anspruch reklamiert, dass Frieden ein linkes Thema sei, was soweit ja stimmt, aber falsch wird, wenn damit der Zugang für Nicht-Linke versperrt werden soll. Wenn einer der Wortführer wie Monty Schädel verkündet: „Ohne deutliche Abgrenzung nach rechts geht Friedensbewegung nicht“, dann werden damit nicht nur Nazis ausgegrenzt, sondern auch Konservative, auch CDU-Mitglieder. Und genau hier beginnt der Dissens.

Der Freidenkerverband hat als Grundlage für Friedensbündnisse immer die Zustimmung zu der Maxime „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ betrachtet. Weitergehende politische Bekenntnisse, Reifezeugnisse oder Gesinnungsprüfungen sind abzulehnen, weil sie die Grundlage eines Bündnisses zerstören würden. Zur Komplettverwirrung trägt bei, dass höchst umstritten ist, wer und was als „rechts“ zu gelten hat. Soll eine Partei mit dem Bomben-auf-Jugoslawien-Werfer Josef Fischer, mit Kriegshetzern wie Cohn-Bendit, Rebekka Harms und Marie-Louise Beck denn bitte als „links“ gelten? Bestimmen jetzt Bertelsmann und George Soros wer rechts, wer links ist? Akzeptieren Linke, dass die Libyen-Kriegsverbrecherin Hillary Clinton als „linke“ Kandidatin gelten soll, während der künftige Sicherheitsberater Michael Flynn vom Irak-Kriegsverbrecher Colin Powell als „durchgeknallter Rechter“ tituliert wird? Flynn, vormaliger Militär-Geheimdienstchef, fiel insbesondere deshalb in Ungnade, weil er die Förderung der Terroristen des Daesh („IS“) durch die Obama-Administration öffentlich machte.

Um dieser Orwell‘schen Begriffsverwirrung die Stirn zu bieten, formulierten wir (anlässlich des 75 Jahrestages des Überfalls des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion): „Wir Freidenker begrüßen ausdrücklich, wenn auch Bürgerliche, Vertreter des rechten politischen Spektrums, wenn Unternehmer für Vernunft und Verständigung in den Beziehungen zu Russland eintreten.“

Als Begründung aus jüngerer Zeit: „Wir unterstützen die Feststellung von Willi Wimmer (CDU) in Ramstein: ‚Panzer vor die Tore der leidgeprüften Stadt Leningrad zu platzieren, ist das Perverseste, das man sich in Europa vorstellen kann‘“. Mit seiner Parteizugehörigkeit wird Willy Wimmer unbestreitbar zum rechten politischen Spektrum zu zählen sein. Unsere grundsätzlichen Überlegung: „Am Krieg wie am Faschismus hat nur eine verschwindende Minderheit ein Interesse: das monopolistische Finanzkapital. Alle, die nicht dazu gehören, haben ein objektives Interesse an der Erhaltung des Friedens.“ – „Angesichts der akuten Bedrohung des Friedens ist das Zusammenwirken aller, die gegen den Krieg sind, überlebenswichtig.“

Unterschiedliche Motivlagen

So sehr wir an dieser, letztlich direkt von Georgi Dimitroff herkommenden Schlussfolgerung festhalten – kompliziert wird es immer, wenn es praktisch wird. Über ein solches Beispiel kann Dr. Klaus Peter Kurch von den Berliner Freidenkern berichten – er hatte im August 2016 an der „Friedensfahrt Berlin-Moskau-Berlin“ teilgenommen: Nazis, Faschisten und offene Revanchisten haben an der Fahrt („naturgemäß“) nicht teilgenommen, aber durchaus auch politisch eher „rechts“ verortete. Das ist unproblematisch, wenn es um eine gemeinsame Initiative zur Sicherung des Friedens geht, und nicht z. B. um die sozialistische Revolution.

Problematisch wird es aber, wenn man genau hinhört und analysiert, welches Geschichtsbild mit welchen ideologischen Implikationen einige („nicht sehr viele“) Friedensfahrer mit sich trugen: Die Souveränität Deutschlands sei seit 1945, manche meinen: seit 1918 (Versailles!) nicht mehr gegeben. Dazu kommt bei manchen, teils mit Fragezeichen versehenen, eine Relativierung der Kriegsschuldfrage i.S. des Herrn Nolte selig. Da wird vertreten, Hitler habe sich durch die Einflüsterungen seiner anglo-amerikanischen Geldgeber in den Krieg treiben lassen. Deutsche Kriegsinteressen, der deutsche Imperialismus kommen in dieser Betrachtung nicht vor.

K. P. Kurch: „Dieser Geschichtsrevisionismus ist kein festgefügtes Gebäude (…), mal wird er eher indirekt vertreten oder taktisch zurück genommen, ein andermal offensiv bis aggressiv zum Ausdruck gebracht. Inhaltlich quallt er in die unterschiedlichsten Richtungen und Zeiten und ist damit kompatibel zu diversen wissenschaftlichen Detaildiskussionen, zu Mythen, Legenden und Glaubenssystemen aller Art, zur politischen Rhetorik des Tages, zum gesunden Menschenverstand und Vorurteil, zu gestern (gerne auch 240 Jahre zurück), heute und morgen. (…)

Die VertreterInnen all dessen äußern sich enorm engagiert, oft ideologisch eifernd und scheuen sich z. T. nicht, gelegentlich die Grenze zum Hetzerischen zu überschreiten. (…) Es ist jedoch unübersehbar, dass ihnen auf der Friedensfahrt-Facebook-Seite von Rothfuss und Schattauer kontinuierlich ein Propaganda- und Resonanzraum gegeben wird.“

Die geschilderten Tendenzen sind aller Aufmerksamkeit wert. Nicht zum Zwecke der Ausgrenzung, sondern um offensiv die argumentative Auseinandersetzung zu suchen. Dem Geschichtsrevisionismus ist entgegenzutreten, auch wenn er unter der Flagge der „Versöhnung mit Russland“ dahersegelt, bzw. diese als Vorwand oder Tarnung dienen soll. Sich „rauszuhalten“ wäre jedenfalls die schlechteste Lösung, da dies die weniger geschichtlich Bewanderten den Legendenerzählern überließe. Wenn doch alle „Warner vor rechts“ sich solcher Mühen unterzögen!

Wunderliches aus dem Hause Steins

Bevor wir das Thema wieder aufgreifen, zunächst zu einem etwas speziellen „Veranstalter“ auf dem Gebiet von Friedensdemos. Vielen Zeitgenossen ist er bisher eher als Künder besonders eindrucksvoller Teilnehmerzahlen seiner Demonstrationen aufgefallen. Auch die zufällige Wahl gleicher Orte (Ramstein) oder identischer Veranstaltungsdaten (08.10.16 in Berlin) mag manche schon erstaunt haben. Wie das funktioniert?

Besagter Veranstalter (http://rotefahne.eu/2016/10/tausende-fordern-berlin-raus-aus-der-nato/) legt Wert darauf, dass es nicht „seine“ (Stephan Steins oder seiner „Roten Fahne“) Friedensdemo sei, sondern die der FbK, übersetzt: „Friedensbewegung bundesweite Koordination“. Und die war selbstverständlich Trägerin der „Bundesweite Friedensdemonstration der Friedensbewegung, Berlin 08.10.2016“. Diese Bescheidenheit kennen wir schon von der Internetzeitung „Die Rote Fahne“: „Begründet 1918 von Karl Liebknecht & Rosa Luxemburg  1992 von Stephan Steins“ heißt es da im Ernst. Und generös teilte Steins mit: „Selbstverständlich hat auch die FbK nichts dagegen und würde es durchaus begrüssen, wenn sich Laura von Wimmersperg, Klaus Hartmann und auch Reiner Braun etc. mit ihren „Die Waffen nieder“-Fahnen an der bundesweiten Friedensdemonstration beteiligen würden.“

Nach dem 08.10.2016 wurde (auf der Rote-Fahne-Homepage) die Demo der Friedensbewegung „diese zweite Veranstaltung“ genannt, einer „Gruppe um Reiner Braun“, „mit rund 2.000 Teilnehmern“. In einer folgenden Mail wurde erhöht: „rund 5.000 (nicht 8.000) Teilnehmer“, jedoch: die „kamen nur zustande, weil wir unsere Teilnehmer am Ende unserer Abschlusskundgebung zur weiteren Teilnahme auf der anderen Seite des Tores aufgerufen hatten“. Hingegen seien bei der „eigenen“ (Steins-) Demo  nicht die maximal 500, sondern „mehrere tausend Friedensaktivisten“ gewesen.

Über solche Wunderlichkeiten mögen manche hinwegsehen, wenn durch Losungen gegen das “US-Imperium“, den „Zionismus“ oder „Raus aus der NATO“ doch offenkundig einer guten Sache gedient wird. Nur leider konstruieren die Veranstalter damit einen Gegensatz zur Demonstration der Friedensbewegung, weil die „lediglich abstrakt nach Frieden rufen“ würde – und das ist halt mal die Unwahrheit. Die Forderung „Raus aus der NATO“ wurde (siehe Demozeitung) auch auf der „Die Waffen nieder“-Demo erhoben, war dort optisch stark präsent, und über dem Aufruf stand nach der Losung „Die Waffen nieder“ an zweiter Stelle „Kooperation statt NATO-Konfrontation“.

Das Urheberrecht reklamiert Steins auch für sich: „Wie euch sicherlich bekannt ist, initiierte ich im Mai 2014 die friedenspolitische Kampagne „Raus aus der NATO!“ durch einen Artikel in der Roten Fahne …“. Bloß wie erklärt man sich dann: „Das Aktionsbündnis »Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden!« (Deutscher Freidenker-Verband, Europäisches Friedensforum, GRH, GBM, Arbeiterfotografie, Solidaritätskomitee für Syrien) sandte eine Grußadresse an die internationale Konferenz der Türkischen Kommunistischen Partei (TKP) »Die Menschheit wird die NATO besiegen«, die am Sonntag, 3. Februar 2013, in Istanbul stattfand“? Das war 15 Monate vor Steins‘ „Initiierung“, siehe http://www.neinzurnato.de/ , die Kampagne ist aber noch älter: „die Internet-Seite »Deutschlands NATO-Mitgliedschaft beenden! « entstand 2009 während der Proteste gegen den NATO-Gipfel.“

Nun könnte man meinen, solche Querelen entstammten Eifersüchteleien, Platzhirschgebaren, seien normale Erscheinungen beim Kampf um die „führende Rolle“, aber grundsätzlich habe man ja gemeinsame Ziele. Diese Hoffnung trügt aber.

Geschichtsrevisionismus mit rotem Fähnchen

Steins und seine „Rote Fahne“ verdienen nämlich auch unter einem anderen Aspekt Aufmerksamkeit: der Geschichtsfälschung. Denn die Stoßrichtung gegen die NATO erscheint hier in einem bemerkenswerten Licht. Die geniale Idee, auf die in der Russischen Föderation noch niemand gekommen zu sein scheint, lautet: „Russland kann die NATO an seiner Westgrenze loswerden – durch einen Friedensvertrag“ (http://rotefahne.eu/2015/05/russland-kann-die-nato-an-seiner-westgrenze-loswerden-durch-einen-friedensvertrag/). Nun wird niemand die Forderung nach einem Friedensvertrag verdammen, übel wird es durch die Begründung, denn dass es keinen gibt, läge an „historischen Verfehlungen (…) an denen auch Russland selbst, bzw. die Sowjetunion mitgewirkt hatte“.

Welche Verfehlungen? „Die, auch durch die UdSSR mitgetragenen, Nürnberger Prozesse (1945 – 1949)“! Deren Aufgabe lt. Steins: „Nicht das NS-Regime galt es niederzuringen, dieses war 1945 ja bereits geschlagen, sondern Deutschland als Völkerrechtssubjekt zu vernichten.“ Nun, dass die Nürnberger Prozesse zur Niederringung des NS-Regimes gebraucht wurden, ist vor Steins auch noch niemand eingefallen, wir dachten immer, dass dort Verbrecher zur Verantwortung gezogen wurden. Sein Fazit: „Die zentrale Bedeutung der Nürnberger Prozesse liegt in der Negierung des internationalen Völkerrechts. Denn durch diese Entwicklung und ihre Legitimationslogik wurde eine Macht konstituiert, welche sich über die Normen des Völkerrechts stellte – das Recht ergo ad absurdum geführt. Nürnberg selbst bedeutete ein Kriegsverbrechen und historische Zäsur gegen das internationale Völkerrecht – mit fatalen Auswirkungen bis heute.“

Ist diese Kampagne gegen die Nürnberger Prozesse „nur“ ein Einfall, um der Kampagne gegen die NATO „neue Argumente“ zu liefern? Weit gefehlt! Seit längerer Zeit ist Steins auf „die Historiographie des zweiten Weltkriegs und der Nürnberger Prozesse“ fixiert. Die erschien ihm schon 2010 „quasi als Gründungsmythos des Imperiums“, habe sich nicht nur „zu unumstößlichen Dogmen, sondern sogar zur höchsten, vollendeten Stufe des Herrschaftsmythos entwickelt: zum wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Tabu“. (http://rotefahne.eu/2010/07/imperiale-mythen-und-die-erneuerung-sozialistischer-politik/#Nuernberger-Prozesse)

Bemängelt wird, dass „in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine kritische Linke (…) der imperialen Historiographie in Bezug auf den zweiten Weltkrieg und die Nürnberger Prozesse eine eigene, kritische Aufarbeitung entgegen setzte, und dies wiederum war dem Umstand geschuldet, dass der ‚Realsozialismus‘ der UdSSR die Geschichtsschreibung des Stalinismus in wesentlichen Punkten übernahm.“

Am Stichwort „Stalinismus“ wird erkennbar, dass hier eine andere Schlacht geschlagen werden soll, und das erklärt, warum die Passagen nicht in einem tagesaktuellen Beitrag über Krieg und Frieden stehen; es handelt sich vielmehr um einen langen Riemen im Abschnitt „SPARTAKUS – DOKUMENTE“. Dort kann man weiter lesen: „Sozialistische Kritiker wie Leo Trotzki (…) und altgediente Kommunisten der russischen Revolution wurden durch den stalinistischen Terror verfolgt und ermordet“, „Durch den zweiten Weltkrieg begünstigt, konnte sich der Stalinismus in der Sowjetunion festigen, …“ und „Unter dem Eindruck des Krieges und später im kalten Krieg mit seinem Antikommunismus trat eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Stalinismus und seiner Verbrechen innerhalb der sozialistischen Bewegung in den Hintergrund.“

Zu ‚guter‘ Letzt bekommt auch noch die Partei „Die Linke“ ihr Fett weg, weil „die SED/PDS/Linke sich zwar, wie sie selbst kommuniziert, vom Stalinismus befreit hat, eigenartiger Weise jedoch nicht von zentralen durch den Stalinismus mitbegründeten Mythen in Bezug auf den zweiten Weltkrieg und die Nürnberger Prozesse.“

So sind wir unversehens in die aus den 1970er Jahren (in Westdeutschland) sattsam bekannten Sektenauseinandersetzungen vermeintlich kommunistischer oder linker Kleingruppen geraten, in denen Steins als „Trotzkist“ mit seinem „Spartakus“ eifrig mitmischt. Und für diesen ‚höheren‘ Zweck sollen wir einstimmen: „In den Nürnberger Prozessen … fand eine propagandistische Siegerjustiz statt.“

Nürnberg: Sieg des Rechts

Dass es in der Geschichte bis zur Gegenwart gegenüber unterlegenen Kriegsgegnern zu Siegerjustiz kam und kommt, soll nicht bestritten werden. Die Nürnberger Prozesse aber als „Siegerjustiz“ zu schmähen, war bisher immer die Spezialität von Nazis. Es ist auch unwahrscheinlich, dass hier jemand im Eifer des Gefechts „Trotzki gegen Stalin“ mal eben übers Ziel hinausgeschossen hat, denn auf dieser Prämisse hat der Autor eine umfängliche Argumentation gestrickt.

Halten wir also fest: Auf die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs am 9. Mai 1945 folgte die „Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik“ am 5. Juni 1945. Die Souveränität in Deutschland wurde vom Alliierten Kontrollrat ausgeübt. Mit dem Abkommen der Alliierten vom 8. August 1945 wurde ein Internationaler Militärgerichtshof „zwecks gerechter und schneller Aburteilung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse gebildet“.

Aus Anlass des 70.Jahrestages des Nürnberger Urteils schrieb der russische Vizepräsident der Internationalen Vereinigung der Staatsanwälte (IAP), Jurist und Buchautor, Alexander Swjaginzew in Sputniknews: Churchill habe seine Meinung, dass die Nazi-Spitze ohne Gerichtsverhandlung hingerichtet werden sollte, dem Kreml aufzuzwingen versucht. US-Präsidenten Franklin Roosevelt meinte am 19. August 1944: „Wir müssen mit Deutschland hart umgehen, und ich meine dabei das deutsche Volk, nicht nur die Nazis. Wir müssen entweder das deutsche Volk kastrieren oder man muss die Deutschen so behandeln, dass sie nicht einfach weiterhin Menschen zeugen können, die im alten Geist fortfahren wollen.“ (https://de.sputniknews.com/politik/20161102313207670-sowjetunion-nuernberg-prozess/ )

Swjaginzew schreibt: „Ein solches Schicksal wäre Deutschland möglicherweise zuteil geworden, hätte die Sowjetunion nicht eine resolute Position eingenommen (…), indem sie sich für ein rechtliches Verfahren aussprach, um die Kriegsverbrecher zu bestrafen.“ Stalin habe erwidert: „Was auch immer geschieht, es muss (…) einen entsprechenden Gerichtsbeschluss geben. Sonst werden die Menschen sagen, dass sich Churchill, Roosevelt und Stalin an ihren politischen Feinden bloß gerächt hätten.“

Zur immer wieder aufgeworfenen Kriegsschuldfrage verweist er auf die Aussage des gefangengenommenen Generalfeldmarschall Paulus als Zeuge der Anklage: „Er war in der Lage, persönlich zu bestätigen, dass jener Barbarossa-Angriffsplan gegen die Sowjetunion längst vor dem eigentlichen Überfall ausgearbeitet worden war. Die Nazis behaupteten ja, dass die Bedrohung von der Sowjetunion ausgegangen sei; dass man einem sowjetischen Angriff nur vorgebeugt habe (…) Doch Paulus bestätigte unbeirrt seine Aussagen, die er zuvor in Moskau gemacht hatte. Bei den Angeklagten – vor allem bei Göring – löste dies Entsetzen, Verwirrung und hasserfüllten Zorn aus.“

„Nürnberg“ war eben keine „historische Verfehlung“, kein „Kriegsverbrechen“ und keine „Negierung des Völkerrechts“, sondern schuf die wohl wichtigste Neuerung des modernen Völkerrechts: Seit Nürnberg gilt der Aggressionskrieg, das Verbrechen gegen den Frieden als oberstes, schwerwiegendstes Verbrechen, das andere Verbrechen wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit erst auslöst und nach sich zieht. Dieser Grundsatz wurde konstitutiv für die UN-Charta mit ihrem Gewaltverbot. Heute muss die Friedensbewegung das Völkerrecht gegen die Kriegstreiber und „humanitären Krieger“ verteidigen. Wer „Nürnberg“ angreift, fällt den Verteidigern des Völkerrechts in den Rücken.

*

Bleibt zum Schluss die Frage: Warum werden geschichtsrevisionistische Positionen unter dem Deckmantel einer „Friedensbewegung“ verbreitet? Sollen damit Nazis unter eine rote Fahne gelockt werden – und wie realistisch wäre diese Vorstellung? Oder soll Geschichtsrevisionismus in der Friedensbewegung verbreitet und salonfähig gemacht werden? Im vorliegenden Fall geschieht dies unter dem Vorzeichen eines besonders „konsequenten Friedenskampfes“, der „Verständigung mit Russland“, gar der zentralen Losung „Deutschland raus aus der NATO“. Das zunächst nicht offensichtliche, aber unvermeidliche Ergebnis ist, die Bewegung zu kontaminieren und ihre Forderungen zu sabotieren. Es stellt sich die Frage, ob die Farbe der Fahne, unter der dieses Manöver stattfindet, wirklich rot ist. Man kann darin auch einen Etikettenschwindel, einen Betrugsversuch sehen. Anders formuliert: Würde der Geheimdienst nach einer Möglichkeit suchen, die Friedensbewegung zu blamieren und zu schwächen, könnte er durchaus auch auf diese Idee kommen.

Würden manche Spezialisten im Kampf „gegen rechts“ statt eines selbst gebastelten Popanz solche tatsächlichen Kompromittierungsversuche in der Friedensbewegung bekämpfen, wäre ihr Engagement von Nutzen. Wer allerdings angesichts der genannten chauvinistischen Einflüsterer in der Friedensbewegung die Existenz der behaupteten „Querfront“ bestätigt sieht, täuscht sich (und andere). Unterwanderungsversuche von dieser Seite gab es immer wieder, aber sie sind kein Kennzeichen einer „Querfront“. Historisch war Querfront immer nur ein Konzept (das nie Realität wurde) zwecks Vereinigung von rechter Gewerkschaftsführung, „linken“ Nazis und der Reichswehr. Ein analoges Konzept heute müsste auf die Zusammenarbeit von Bundeswehrführung, DGB-Führung und NPD zielen. Solch ein Projekt ist bis dato unbekannt. So bleibt die „Querfront“ von heute nur eine Diffamierungsvokabel aus dem Sumpf des Antikommunismus gegen Demokraten, Friedensbewegte und alle Fortschrittlichen.